Verschwindet Jetzt Endlich Die SIM-karte?

Bisher machen die großen Netzbetreiber beim Vertrieb von eSIM einen großen Bogen ums Endkundengeschäft. Sie propagieren virtuelle SIM-Karten vor allem als Produkt für den gewerblichen Einsatz.
Sie ist für Kunden flexibel und spart Netzbetreibern Aufwand und Kosten. Und doch nutzt bisher kaum jemand die virtuelle Handykarte eSIM. Eine Änderung im Verbraucherrecht könnte ihr endlich zum Durchbruch verhelfen.
Das Unternehmen Sipgate macht vor, wie die schöne neue Mobilfunkwelt aussehen könnte. Wer als Telefonkunde bei den Digitalspezialisten aus Düsseldorf ein neues Nutzerkonto anlegt, benötigt nur ein paar Mausklicks und ein passendes Smartphone, dann kann er lostelefonieren und zum Surfen ins mobile Internet starten. Ein paar Minuten dauert der Prozess, und den Gang zum Handyshop oder Discounter, um dort ein Starterpaket mit SIM-Karte zu kaufen, kann sich der Neukunde sparen.
Denn eine physische SIM-Karte, wie sie Telefonkunden seit Jahrzehnten den Weg in die Mobilfunkwelt öffnet, braucht es bei Sipgate nicht mehr. Stattdessen reicht es, mit der Handykamera einen QR-Code abzuscannen, um die sonst im charakteristischen Plastikchip gespeicherten Nutzerdaten und Kryptocodes ins Telefon zu bringen. Mit denen registriert sich das Telefon dann im Netz. Den QR-Code zeigt Sipgate seinen Neukunden bei der Anmeldung auf dem Bildschirm an. Dann legt das Handy alle relevanten Informationen als virtuelle SIM-Karte in einem speziellen, fest im Telefon verbauten Mikrochip ab, der das Plastikplättchen obsolet macht: Die sogenannte eSIM.
Mit einem Klick zum neuen Tarif
Sie verspricht Mobilfunkkunden eine bis dato ungekannte Flexibilität beim Wechsel der Handytarife. Bei Sipgate etwa reicht es im Nutzerprofil einzelne Tarifpakete an- oder wegzuklicken. Sekunden später ist eine Telefon-Flatrate aktiviert, ein Datenpaket aufgestockt oder gekürzt oder ein spezieller Auslandstarif für die Kommunikation außerhalb der EU hinzugebucht oder abbestellt.
ESIM
Das kann der neue Super-Chip
Doch trotz all dieser Vorteile setzt sich die eSIM bislang noch nicht durch. Noch nicht. Denn eine neues Gesetz im Verbraucherschutz könnte Widerstände gegen die praktische Technologie nun aufbrechen, die den anachronistischen Plastikkärtchen bis heute ihr Überleben sichern. Doch der Reihe nach. Denn die Gründe für die schleppende Verbreitung sind vielfältig.

Zum einen sind, auch rund fünf Jahre nach dem Vertriebsstart der ersten eSIM-tauglichen Telefone in Deutschland, entsprechende Smartphones noch immer Raritäten in der Mobilfunkwelt. Nur ein Zehntel aller derzeit neu verkauften Handys sind bisher überhaupt mit einem eSIM-Chip ausgerüstet, so eine Erhebung des Vergleichsportals Verivox von Ende Oktober.
Während bei Smartwatches wie der Apple Watch, Samsungs Pendant der Galaxy Watch oder der Huawei Watch 2 schon aus Platzgründen Funkmodule samt eSIM verbaut werden, haben die Handyhersteller im laufenden Jahr gerade einmal zehn neue eSIM-fähige Telefone auf den Markt gebracht, so die Verivox-Auswertung.
Und dabei handelt es sich meist um die Modelle der Oberklasse wie etwa Apples iPhones ab der 11er-Serie. Auch Samsungs Oberklasse-Telefone der Galaxy-S20 und Galaxy-21- sowie der Note20-Reihen und der faltbaren Z-Flip-Serie sind eSIM-fähig. Google unterstützt die virtuelle Sim-Karte zumindest bei den Top-Modellen seiner Pixel-Reihe.
KRYPTOFUNKTIONEN DER NEUEN SIM-KARTE
Die Zukunft gehört der eSIM

Der zweite Grund für die zögerliche Verbreitung der eSIM liegt bei den Netzbetreibern. Bis vor gut zwei Jahren hätte noch keiner von ihnen seinen Kunden auf Wunsch eine eSIM eingerichtet. Inzwischen, immerhin, gibt es neben den großen drei Mobilfunkern auch eine Reihe von Service-Providern und Discount-Marken, über die Handynutzer eine eSIM bestellen können. Die Liste reicht von 1&1 und Drillisch über den Telekom-Ableger Congstar, den Discounter Edeka-Smart oder Mobilcom-Debitel bis zum Billiganbieter Truphone oder eben zu Sipgate.
Hier schon Top, dort noch ein Flop
Womit sich die Frage stellt, warum ein Produkt im Endkundenmarkt so schwer vom Fleck kommt, das sich im gewerblichen Einsatz längst auf breiter Front durchgesetzt hat? In neuen Autos etwa steckt seit Jahren eine eSIM, über die die Hersteller unter anderem die gesetzlich vorgeschriebene Notruffunktion eCall umsetzen. Mit deren Hilfe kann das Fahrzeug bei Unfällen automatisch Position und Insassenzahl an Rettungsleitstellen übermitteln. Auch vernetzte Sensoren, mit deren Hilfe beispielsweise Logistiker den Standort ihrer Container oder den Zustand des Transportgutes überwachen können, funktionieren mittlerweile mit eSIM.
Doch warum in der Telefonie so zögerlich? Es ist sicher – auch – ein Henne-Ei-Problem. Die Hersteller scheuen Kosten und technischen Aufwand die eSIM-Chips zusätzlich in ihre Telefone einzubauen, wenn der Markt die Funktion noch kaum nachfragt. Und die Kunden wiederum verlangen kaum nach entsprechenden Telefonen, weil sie vielfach noch immer nicht wissen, dass es eSIM überhaupt gibt und welchen Vorteil diese Technologie bietet.
Und genau da kommen die Mobilfunkanbieter ins Spiel und damit der dritte Grund für die schwache Verbreitung der eSIM. In Marketingkampagnen glänzen allenthalben die neuesten Smartphones und Tarife, für den Einsatz der flexiblen eSIM wirbt hingegen kaum einer der Konzerne. „Die Mobilfunkanbieter treten bei der eSIM-Einführung seit Jahren auf die Bremse”, sagt Jens-Uwe Theumer, Telekommunikationsspezialist bei Verivox.

Diese Handy-Spitzel kennen nicht mal die App-Entwickler
Braucht es wirklich 20 Tonnen Plastik?
Dabei könnten auch die Netzbetreiber, viel Zeit, Aufwand und Kosten sparen, wenn sie die Logistik der Plastikkärtchen loswürden. Bei rund zehn Millionen neuen Mobilfunkkarten im vergangenen Jahr etwa summierte sich das Gewicht der Plastik-SIM auf rund 20 Tonnen – zuzüglich Dokumentationsmaterial und Verpackungen.
Und dennoch: „Bis heute ist die eSIM eine Nischenlösung für einige Smartwatches und Technik-Nerds“, sagt Thorsten Neuhetzki, Mobilfunkexperte beim Fachmagazin „inside digital“. „Dabei wäre sie eigentlich ideal geeignet kurzfristig und schnell Mobilfunkverträge zu aktivieren, die beispielsweise für Touristen nur wenige Tage aktiv sind.“
Doch genau das ist für die Netzbetreiber auch das Risiko. Denn in kaum einem europäischen Land ist der Anteil langlaufender Mobilfunkverträge bis heute so hoch wie in der Bundesrepublik. Wann immer möglich wollen die Netzbetreiber ihre Kunden binden.
Wie die Branche die Trägheit der Kunden ausnutzt
Da ist der Zusatzaufwand, der mit dem Tausch einer physischen SIM-Karte verbunden ist, für viele Handynutzer immer ein guter Grund im Zweifel, nicht in ein anderes Netz zu wechseln. Und so verwundert es kaum, wenn Neuhetzki feststellt, „dass die Anbieter den benötigen QR-Code zur einmaligen Aktivierung der eSIM Nutzung sogar per Post verschicken, was deren Zweck ad absurdum führt.“
Nun aber könnte sich die Zurückhaltung ändern. Denn im Sommer hat der Bundestag ein Gesetz beschlossen, das Verbrauchern mehr Flexibilität bei Laufzeitverträgen bringen soll. Ob Fitnessstudios, Streamingdienste oder eben Handyverträge: Überall sollen künftig Vertragslaufzeiten von einem Jahr die Regel sein – und längere Laufzeiten nur noch zulässig, wenn Kunden beim Abschluss zugleich ein Angebot bekommt, das maximal 25 Prozent teurer ist. Zudem wurde die Kündigungsfrist von drei Monaten auf einen verkürzt.

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